Das Ende der Scheinselbständigkeit?
Die Folgen des Referentenentwurfs für Selbständige, Freiberufler und Auftraggeber
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat unter dem 16.11.2015 den lang angekündigten Gesetzesentwurf[1] zur Reglementierung von Leiharbeit und Werkverträgen vorgelegt. Den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen und Leiharbeitsverhältnissen einzudämmen, Scheinselbständigkeit sowie die Ausbeutung von Beschäftigten durch entsprechende Vertragsgestaltungen zu verhindern – dies sind die ehrenvollen Ziele des Koalitionsvertrages der Bundesregierung.
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Zweifelsfrei ist eine gesetzliche Regelung die Rechtsicherheit und -klarheit bringt, dringend geboten. Das grundsätzliche Vorhaben ist somit äußerst lobenswert und sinnvoll. Der Referentenentwurf hält jedoch in keiner Weise, was er verspricht. Man wird sagen müssen: Problem erkannt – Problem nicht gebannt.
1. Selbständiger, Soloselbständiger = Scheinselbständiger?
A ist Freelancer und arbeitet momentan nur für den Auftraggeber X. Er unterstützt diesen bei der Umstellung auf eine neue Datenbank. Es gibt grob spezifizierte Anforderungen, vieles wird tagesaktuell entschieden. Häufig arbeitet A von zu Hause aus. Er muss jedoch auch vor Ort mit dem System seines Auftraggebers arbeiten. Dazu stimmt er sich auch mit den Arbeitnehmern des X ab. Und schon ist er mittendrin im Thema Scheinselbständigkeit.
Die Brisanz des Themas Scheinselbständigkeit ist in den letzten Jahren immer weiter angewachsen. Sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch in der Wortwahl von Politikern, Gewerkschaftsfunktionären und Sachbearbeitern ist es mittlerweile fast üblich, eine Gleichstellung der Begriffe zu verwenden. Ein Soloselbständiger ist also per se ein Scheinselbständiger.
Ähnliches findet sich in der Literatur, so wird der Scheinselbständige auch der „sogenannte neue Selbständige“[2] genannt, ohne eine weitere Differenzierung vorzunehmen. Die Diskussion wird befeuert durch die rigorosen und teilweise sehr undifferenzierten Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung Bund im Statusfeststellungsverfahren. Der Begriff des Arbeitnehmers[3] ist gesetzlich nicht normiert. Dazu gibt es auch noch den arbeitnehmerähnlichen Selbständigen[3].
2. Differenzierung durch gesetzliche Regelungen
Um eine Differenzierung von Arbeitsverhältnissen und Dienst-/Werkverträgen zu erleichtern, wurde im Referentenentwurf § 611a BGB-E[4] geschaffen. Diese Regelung ist für die Selbständigen, Freiberufler und Auftraggeber relevant, da sie Transparenz und Rechtssicherheit auch beim Thema Scheinselbständigkeit verspricht.
Leider wird auch dieses Versprechen nicht eingelöst. Die völlig missglückte Umsetzung des Vorhabens führt zu einer Einschränkung bis hin zur vollständigen Vernichtung von Geschäftsmodellen. Die sich bereits abzeichnenden Tendenzen der pauschalen Verurteilung einer Scheinselbständigkeit werden fortgeführt und verstärkt. Jeder Soloselbständige steht nunmehr erst recht unter dem Generalverdacht der Scheinselbständigkeit. Zudem wird der Anschein erweckt, dass jeder Unternehmer offenbar nur das Ziel hat, durch Scheinselbständigkeit Arbeitsverhältnisse zu vermeiden.
Als Allheilmittel wird der Kriterienkatalog eingeführt.[5] Die Kriterien stammen aus der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen im Statusfeststellungsverfahren des Deutschen Rentenversicherung Bund. Es handelt sich stets um Einzelfallbetrachtungen. Aus diesen verschiedenen Prüfungskonstellationen sind – scheinbar wahllos – einige Kriterien herausgegriffen worden, denen in künftigen Bewertungen erhöhte Bedeutung zugemessen werden soll. Diese „wertende Gesamtbetrachtung“ stellt jedoch nichts anderes als eine Prüfung des Einzelfalls dar. Damit kann der Kriterienkatalog keinesfalls abschließend sein.
Mit dieser Art der Prüfung wird das Gegenteil des gewünschten Ergebnisses zur Schaffung von Rechtssicherheit und Klarheit erreicht. Durch die Auswahl von ungeeigneten Kriterien, die Vermischung von Begrifflichkeiten und die einseitige Betrachtung des Themas kommt es zu einer weiteren Verunsicherung von Endkunden und Vermittlern bis hin zur Existenzbedrohung für den Selbständigen.
Wird dieser Entwurf Realität, macht der Wirtschaftsstandort Deutschland nur eines und zwar einen kräftigen Schritt zurück. An den Anforderungen, die im Zuge der zeitgemäßen Arbeitsmodelle benötigt werden, geht das Gesetz vollständig vorbei. Der Bedarf an spezialisierten hoch- und höchstqualifizierten Wissensarbeitern nimmt ständig zu. Die Auslagerung und die Möglichkeit des Zukaufs ganz spezieller Wissensprofis wird die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bestimmen. Diese Entwicklung wird weder gewürdigt noch bedacht.
3. Akuter Handlungsbedarf?
Es bleibt die Fragestellung nach dem: Was nun? Wie muss die Praxis auf den Gesetzesentwurf reagieren? Sind bereits jetzt, spezielle Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen? Müssen aktuelle Geschäftsmodelle an den Gesetzesentwurf angepasst werden? Werden Spezialisten oder Schulungsmaßnahmen für die Vorbereitung benötigt?
Zunächst gibt es einen ersten Fingerzeig durch die Aussage der Bundeskanzlerin vom 24.11.2015, die anlässlich der Jahresversammlung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bereits ankündigte, dass der Gesetzesentwurf zu weit gehe und in dieser Form nicht kommen wird.[6] Auch der Aufschrei der Arbeitgeber[6]- und Interessenverbänden sowie die juristische Beurteilung sind deutlich und dürften von der Politik nicht ignoriert werden.
Aus diesem Grund muss vor kopfloser Panikmache gewarnt werden. Kostenpflichtige Angebote für spezielle Seminare, Schulungen etc. pp., um sich auf die kommenden Änderungen vorzubereiten, sollten kritisch geprüft werden. Hier tummeln sich eine Menge Trittbrettfahrer, die mit der Unsicherheit Geld verdienen wollen. Momentan sollte davon ausgegangen werden, dass eine gesetzliche Regelung nicht in der vorgelegten Form erscheinen wird. Die Entwicklung muss jedoch im Blick behalten werden.
Für die Praxis eines jeden Selbständigen, Freiberuflers und auch Auftraggebers ändert sich – wie oben dargestellt – vorerst nichts. Bereits jetzt werden unter anderem die Kriterien des Gesetzesentwurfs angewendet, wenn es um die Überprüfung von Feststellungen zu Beschäftigungsverhältnissen geht. Folglich sei jeder Beteiligte gehalten, sich mit den bestehenden Prüfkriterien und deren Umsetzung/Vermeidung genauestens auseinanderzusetzen.
4. Fazit
Es wurde ein völlig unzulänglicher Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Brisanz des Themas Scheinselbständigkeit weiter befeuert. Der Gesetzgeber ist nun dringend aufgefordert, nachzubessern. Des Weiteren kann nur jeder Betroffene/Selbständige aufgerufen werden, sich zu organisieren und Aktionen/Verbände zu unterstützen, die sich für eine sachgerechte Umsetzung einsetzen.
[1] Quelle: Referentenentwurf des BMAS vom 16.11.2015
[2] Palandt/Weidenkaff, 75. Auflage, Einf. v.§ 611 Rn. 11
[3] Arbeitnehmer
ist, wer aufgrund eines Arbeitsverhältnisses weisungsgebunden und in persönlicher Abhängigkeit von einem anderen (Arbeitgeber) zur fremdbestimmten Arbeitsleistung gegen Vergütung verpflichtet ist.[7]
Arbeitnehmerähnlicher Selbständiger
Person, die
a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt und
b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist[8]
[4] § 611 a BGB[9]
“Vertragstypische Pflichten beim Arbeitsvertrag
(1) Handelt es sich bei den aufgrund eines Vertrages zugesagten Leistungen um Arbeitsleistungen, liegt ein Arbeitsvertrag vor. Arbeitsleistungen erbringt, wer Dienste erbringt und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt. Wenn der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung einander widersprechen, ist für die rechtliche Einordnung des Vertrages die tatsächliche Durchführung maßgebend.
(2) Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand
a) nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen,
b) die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
c) zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
d) die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
e) ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
f) keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu erbringen,
g) Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,
h) für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.
(3) Das Bestehen eines Arbeitsvertrages wird widerleglich vermutet, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch insoweit das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat
[5] Einen entsprechenden Versuch gab es bereits im Jahr 1999 mit § 7 Abs. 4 SGB IV dieser wurde zunächst nachgebessert und im Jahr 2003 aufgrund anhaltender Kritik wieder abgeschafft.
[6] Tagesschau: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/leiharbeit-werkvertraege-101.html
[7] Palandt/Weidenkaff, 75. Auflage, Einf. v.§ 611 Rn. 11
[8] § 2 Satz 1 Nummer 9 SGB VI
[9] Quelle: Referentenentwurf des BMAS vom 16.11.2015