Dies ist der fünfte und letzte Teil dieser Artikelserie über den von unserem Mitglied Herrn Freundel verfassten umfangreichen offenen Brief an Herrn Hubertus Heil (Bundesminister für Arbeit und Soziales), an die regierenden Parteien SPD, Grüne und FDP und an die Oppositionsparteien CDU/CSU sowie Die Linke. In diesem Brief geht es im Wesentlichen um das Thema Scheinselbstständigkeit und die gefährlichen Folgen für die Selbstständigen und für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Nach einem daraufhin geführten Fachgespräch mit dem Staatssekretär Dr. Schmachtenberg im Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Herr Freundel einen Lösungsvorschlag an das Büro von Herr Staatssekretär Dr. Schmachtenberg geschickt und daraufhin auch mit Dr. Schmachtenberg telefoniert.
Der Lösungsvorschlag setzt als Prämisse die Einführung einer „Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit“ voraus. Wie bereits im zweiten Teil der Artikelserie erläutert wurde, ist die Sinnhaftigkeit dieser Pflicht ein eigenes, sehr komplexes und kontroverses Thema, das an dieser Stelle nicht weiter erörtert wird. Aber es kommen aus der Regierung/ Politik deutliche Signale, die besagen, dass eine Rentenversicherungs-Pflicht kommen wird. Im Rahmen der Debatte um die Scheinselbstständigkeit hätte eine Rentenversicherungs-Pflicht für Selbstständige auch den großen Vorteil, dass damit zentrale offizielle (oder zumindest inoffizielle) Begründungen für die bestehende Statusfeststellung für Selbstständige entfallen: Altersvorsorge bzw. soziale Absicherung und die noch weitergehende Beteiligung an der Solidargemeinschaft.
Der Lösungsvorschlag basiert auf der Höhe des Einkommens und erreicht mit einem für ein Kalenderjahr gültigem Zertifikat für entsprechende Selbstständige, dass Selbstständige, Auftraggeber, Angestellte, tatsächlich Schutzbedürftige Erwerbstätige und der Wirtschaftsstandort Deutschland ohne zusätzlichen Aufwand profitieren.
Rentenversicherungspflicht <– –> Scheinselbstständigkeit
Aktuell scheint es so zu sein, dass mit der Einführung einer allgemeinen Rentenversicherungspflicht für Selbstständige nicht (!) automatisch gleichzeitig eine Lösung des Themas Scheinselbstständigkeit kommt. Einerseits kann man dafür ein gewisses Verständnis aufbringen, denn im Koalitionsvertrag[1] der aktuellen Regierung heißt es: „Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen.“ D.h. so wie es aussieht könnte die Rentenversicherungspflicht nur für „neue“ Selbstständige gelten. Bei „neue“ muss man erstmal sehen, wie das genau definiert ist: Z.B. bedeutet „neu“ auch nach einer kurzen Unterbrechung durch eine vorrübergehende Festanstellung/ Arbeitnehmerüberlassung? Aber es wird damit wohl nicht alle Selbstständigen betreffen.
Andererseits wird für das Thema Scheinselbstständigkeit DRINGEND eine Lösung für ALLE Selbstständigen gebraucht, also auch für Selbstständige, die nicht unter die Rentenversicherungspflicht fallen würden. Und so wie in diesem Zusammenhang von Wahlfreiheit und Opt-out gesprochen wird, könnte man den Nachweis über eine geeignete Altersabsicherung auch bei der Lösung der Scheinselbstständigkeit heranziehen.
Ist die Gleichbehandlung aller selbstständigen Erwerbstätigen noch gewährleistet?
Wikipedia zitiert zum Gleichheitssatz im Grundgesetz[2] ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
„Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Die rechtliche Unterscheidung muss also in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden.“
Und weiter steht bei Wikipedia: „Bei der schlichten Ungleichbehandlung von Sachverhalten gilt das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Staat darf nicht willkürlich wesentlich Gleiches ungleich beziehungsweise wesentlich Ungleiches gleich behandeln. Es muss hierfür ein Differenzierungskriterium vorliegen. Dieses fehlt nach einer vielfach verwandten Formel der Rechtsprechung, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die staatliche Maßnahme nicht finden lässt.“
Der Autor dieser Artikelserie ist kein Jurist und will sich entsprechend nicht auf „dünnes Eis“ begeben! Aber vor dem obigen Hintergrund erscheint folgendes Beispiel zumindest fragwürdig: Der Besitzer eines Einzelhandels-Ladens oder eines Kiosks hat keine Angestellten, arbeitet an 6 Tagen/ Woche jeden Tag von 8:00 bis 18:00 Uhr 10 Stunden im Laden und kümmert sich dann noch um Abrechnung, Lager und Waren-Einkauf. Am Ende bleibt ein errechneter Stundenlohn (Gewinn) von WEIT UNTER MINDESTLOHN. Trotzdem ist dieser Erwerbstätige unstrittig selbstständig und würde wohl entsprechend niemals mit einem Statusfeststellungsverfahren bzw. Scheinselbstständigkeit in Berührung kommen.
D.h. z.B. Ladenbesitzer dürfen ihrer Wunsch-Erwerbstätigkeit völlig unabhängig von theoretischer Schutzbedürftigkeit nachgehen – ABER bei anderen Selbstständigen wird das bestenfalls pauschal in Frage gestellt, oder sogar ganz verwehrt…! Und dieses Beispiel ist unabhängig von einer Rentenversicherungspflicht: Der Ladenbesitzer ist aktuell auch nicht verpflichtet für die soziale Absicherung vorzusorgen.
Damit bewirken die aktuellen Regeln und Gesetze eine rechtlich und zumindest moralisch mehr als nur fragwürdige Ungleichbehandlung von unterschiedlichen selbstständigen Erwerbstätigen.
Und spätestens mit Einführung einer Rentenversicherungspflicht für Selbstständige entfällt auch dieser „sachlich [vielleicht sogar (Anmerkung des Verfassers dieser Artikelserie)] einleuchtende Grund für die staatliche Maßnahme“.
„Schreckgespenst Statusfeststellungsverfahren“
Einen guten Hinweis auf die Stimmung insbesondere der selbstständigen Wissensarbeiter gibt ein Artikel[3] des Online-Magazins „heise online“ vom 02.07.2024 zum Thema Bürokratie in Bezug auf Mittelstand und Selbstständige in Deutschland. Der entsprechende Absatz ist mit „Schreckgespenst Statusfeststellungsverfahren“ überschrieben und berichtet u.a. über eine Studie des „Institut der deutschen Wirtschaft (IW)“:
„Infolgedessen würden 35 Prozent [der vom IW befragten Selbstständigen (Anmerkung des Verfassers der Artikelserie)] erwägen, ins Ausland zu ziehen, und 27 Prozent würden eine Beendigung ihrer Selbstständigkeit erwägen. Laut IW gelte das sogar für Befragte, die selber noch gar nicht von einem Verfahren betroffen waren – offenbar entfaltet das Statusfeststellungsverfahren eine abschreckende Wirkung. Überdurchschnittlich oft seien es jüngere, gut ausgebildete Selbstständige mit hohen Gewinnen gewesen, die über solche drastischen Schritte nachdächten. Häufig handele es sich um Selbstständige aus dem IT-Bereich.“
Einerseits hat auch die Bundesregierung längst erkannt, dass es in Deutschland einen Mangel an Fachkräften gibt und will sogar ausländische Fachkräfte mit Steuervergünstigungen[4] locken. Aber andererseits nimmt man es offensichtlich einfach so hin, dass ein Drittel der Selbstständigen sogar darüber nachdenkt, Deutschland zu verlassen – und entsprechend ihre Expertise und Tatkraft mitzunehmen…!?
Bürokratieabbau
Die Bundesregierung schreibt[5]:
„Die Bundesregierung begreift Bürokratieabbau als Dauer- und Querschnittsaufgabe. Ziel ist es, bürokratische Lasten für die Bürgerinnen und Bürger, die Verwaltung und die Unternehmen dauerhaft zu reduzieren und damit zugleich Impulse für das Wachstum der Wirtschaft zu setzen.“
Im oben bereits genannten Artikel des Online-Magazins „heise online“ vom 02.07.2024 steht:
„Freiberufler und Selbstständige treibt derweil vor allem eine bürokratische Pflicht um, wie aus einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervorgeht: das Statusfeststellungsverfahren.“
Sinnvolle, klare und nachvollziehbare Regeln und Gesetze im Allgemeinen und hier speziell beim Thema Statusfeststellung/ Scheinselbstständigkeit würden sowohl die Selbstständigen als auch ihre Auftraggeber deutlich entlasten. Und der Staat könnte sich dann auch ohne zusätzlichen Aufwand besser um die tatsächlich schutzbedürftigen Erwerbstätigen kümmern.
Es erscheint schon eigenartig, dass die Regierung „die bürokratischen Lasten“ „dauerhaft reduzieren“ möchte, aber die Einführung neuer Regeln und Gesetze für eine Rentenversicherungspflicht offensichtlich wichtiger sind als die dringend notwendigen effektiven Vereinfachungen und Verbesserungen eines seit vielen Jahren bestehenden Regel- und Gesetzes-Werkes der Scheinselbstständigkeit. Es sieht eher so aus, als zusätzliche Gesetze Vorrang haben vor dem Abbau bestehender Gesetzes-Probleme.
Für die Politik wäre es von Vorteil, beide Themen zu verbinden
Es erscheint sehr ratsam für die Politik, die beiden Themen Rentenversicherungspflicht und Lösung der Scheinselbstständigkeit miteinander zu verbinden bzw. zusammen mit einer Einführung einer Rentenversicherungspflicht auch eine sinnvolle Lösung der Scheinselbstständigkeit einzuführen: Die Politik will den Selbstständigen die Freiheit über die eigene soziale Absicherung nehmen – dann wäre es nur fair und politisch geschickt auch etwas zurück zu geben: Die Freiheit über die eigene Selbstständigkeit!
Selbstverständlich kann man (und bei vernünftiger Umsetzung sollte man auch tatsächlich!) die Rentenversicherungspflicht durchaus als Vorteil für (!) Selbstständige sehen, aber erstmal ist es eine Beschneidung der individuellen Freiheit der Selbstständigen. Mit einer Rentenversicherungspflicht wird es nicht erst relevant, aber aus Gründen der Fairness, des Rechts auf freie Berufswahl und Entfall des wichtigsten Grunds für das Thema Scheinselbstständigkeit scheint es spätestens damit geboten:
Den Selbstständigen muss endlich wieder die freie Entscheidung über ihre eigene Selbstständigkeit gegeben werden!
Der Eindruck des Verfassers dieser Artikelserie ist, dass viele Selbstständige – aber auch ganz allgemein viele Bürger! – der Meinung sind:
Der Staat verhindert nur noch – aber er gestaltet nicht mehr!
Und das ist für allgemein für einen Staat und insbesondere für einen Wirtschaftsstandort ein Armutszeugnis.
Der DBITS e.V. bleibt dran und bemüht sich weiterhin für seine Mitglieder und für alle Selbstständigen und den Wirtschaftsstandort Deutschland eine sinnvolle Lösung zu finden und umzusetzen!
[1] Z.B. https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichheitssatz
[3] https://www.heise.de/news/Buerokratie-treibt-Mittelstand-zur-Verzweiflung-und-Freelancer-ins-Ausland-9787130.html
[4] Z.B. https://www.wiwo.de/politik/deutschland/regierungsverhandlungen-steueranreiz-fuer-auslaendische-fachkraefte-geplant/29883358.html
[5] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/tipps-fuer-verbraucher/buerobratie-abbauen-2264628