Offener Brief Teil 4
Dies ist der vierte dieser Artikelserie über den von unserem Mitglied Herrn Freundel verfassten umfangreichen offenen Brief an Herrn Hubertus Heil (Bundesminister für Arbeit und Soziales), an die regierenden Parteien SPD, Grüne und FDP und an die Oppositionsparteien CDU/CSU sowie Die Linke. Im ersten Teil wird über den Brief und die Reaktion darauf berichtet, im zweiten Teil über die grundsätzlichen Überlegungen eines daraufhin erarbeiteten Lösungsvorschlags und im dritten Teil über den von Herrn Freundel erarbeiteten Lösungsvorschlag.
Herr Freundel hat seinen Lösungsvorschlag an das Büro von Herr Staatssekretär Dr. Schmachtenberg in Form zweier Präsentationen geschickt: Einmal als ausführliches Dokument mit umfangreichen Erläuterungen zu den Hintergründen, Herausforderungen, bekannten Sichtweisen und dem Lösungsvorschlag; und einmal als deutlich gekürzte Fassung mit nur den wichtigsten Punkten.
Der Lösungsvorschlag setzt als Prämisse die Einführung einer „Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit“ voraus. Wie bereits im zweiten Teil der Artikelserie erläutert wurde, ist die Sinnhaftigkeit dieser Pflicht ein eigenes, sehr komplexes und kontroverses Thema, das an dieser Stelle nicht weiter erörtert wird. Aber es kommen aus der Regierung/ Politik deutliche Signale, die besagen, dass eine Rentenversicherungs-Pflicht kommen wird. Im Rahmen der Debatte um die Scheinselbstständigkeit hätte eine Rentenversicherungs-Pflicht für Selbstständige auch den großen Vorteil, dass damit zentrale offizielle (oder zumindest inoffizielle) Begründungen für die bestehende Statusfeststellung für Selbstständige entfallen: Altersvorsorge bzw. soziale Absicherung und die noch weitergehende Beteiligung an der Solidargemeinschaft.
Der Lösungsvorschlag basiert auf der Höhe des Einkommens und erreicht mit einem für ein Kalenderjahr gültigem Zertifikat für entsprechende Selbstständige, dass:
- Selbstständige mit diesem Zertifikat auch für künftige Aufträge sicher vor Scheinselbstständigkeit geschützt sind
- Auftraggeber, die sich von dem Selbstständigen das Zertifikat übermitteln/ bestätigen lassen, sicher vor Scheinselbständigkeit geschützt sind
- Angestellte sich wie bisher auch gegen ihren Arbeitgeber wehren können, wenn der in einen Selbstständigen umwandeln möchte
- Selbstständige, die den Schutz des Staats tatsächlich brauchen, wie bisher auch geschützt werden können – sogar eher besser, weil dafür u.a. bei der Deutschen Rentenversicherung mehr Ressourcen frei werden
- Der Wirtschaftsstandort Deutschland ohne zusätzlichen Aufwand profitiert
Allgemeine “Antwort“ zu einkommensbasierten Ansätzen
Bevor hier auf die Antwort von Herrn Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Deutschland Dr. Rolf Schmachtenberg auf den Lösungsvorschlag von Herrn Freundel eingegangen wird, gab es (auch zeitlich) zuerst eine allgemeine „Antwort“ zu einkommensbasierten Ansätzen: Auf der Freelancer-Konferenz „Freelance Unlocked 2024“ (15. und 16.05.2024) hat auch Dr. Schmachtenberg einen Vortrag gehalten und stand danach dem Moderator für Fragen zur Verfügung[1].
Dr. Schmachtenberg:
„[…] das Ringen um klarere Kriterien [„zur Scheinselbstständigkeit“; Anmerkung des Verfassers], da sind wir durchaus in der Diskussion, ob man da was findet, aber bisher ist keinem der Stein der Weisen eingefallen.“
Das wurde auch schon im zweiten Teil dieser Artikelserie ausgeführt: Der „Arbeit“ ist es egal, wer sie ausführt, es ist „ihr“ egal, ob es ein angestellter oder ein selbstständiger Erwerbstätiger macht. Damit ist es zumindest sinnvoll, eigentlich aber sogar geboten, die Unterscheidung zwischen angestellten und selbstständigen Erwerbstätigen ebenfalls von „der Arbeit“ selbst zu lösen – und vielmehr auf das auszurichten, was mit dieser Unterscheidung überhaupt erreicht werden soll. Und spätestens mit der geplanten Einführung einer Rentenversicherungs-Pflicht für Selbstständige bleibt letztlich nur die Schutzbedürftigkeit als Ziel – und damit als Kriterium – übrig.
Dr. Schmachtenberg:
„Also ein gängiger Vorschlag zurzeit ist: ‚Wissensarbeiter mit hohen Einkommen sind Selbstständige.‘ Wer ist genau Wissensarbeiter, wer gehört dazu und wer gehört da nicht dazu?“
Tatsächlich wird insbesondere im Zusammenhang mit einkommensbasierten Lösungsvorschlägen häufig von „selbstständigen Wissensarbeitern“ gesprochen – es gibt in Deutschland übrigens ca. „300.000 freiwillig Selbständige in zukunftsorientierten Bereichen“[2]. Und das erscheint auch logisch, weil es sicherlich hauptsächlich selbstständige Wissensarbeiter sind, die über ein Einkommen verfügen, das sie sicherlich nicht schutzbedürftig sein lässt.
Aber: Mit der Einführung der geplanten/ beschlossenen Rentenversicherungs-Pflicht für Selbstständige bleibt wie mehrfach beschrieben im Wesentlichen die Schutzbedürftigkeit als Argument übrig. Und wenn man dann das zu versteuernde Einkommen (und nicht das Brutto-Einkommen) als Kriterium nimmt, kann man das doch auch auf alle Selbstständigen anwenden. Das zu versteuernde Einkommen hat als Kriterium den Vorteil, dass damit z.B. abhängige Paketfahrer mit „eigenem“ LKW (hohe Abschreibung/ Leasingrate) damit gewollt nicht (!) unter diese Regel fallen.
Dr. Schmachtenberg:
„Und dann hast du mit dieser Einkommensgrenze auch wieder ein Problem, weil, die ist da nicht ständig, da hast du hohe und niedrige Einkommen. Wir prüfen das.“
Selbstverständlich schwanken die Einkommen von Selbstständigen, sei es durch die Auftragslage, sei es durch nicht-in-Rechnung-stellbare Zeiten wie Weiterbildung oder Sabbaticals oder Elternzeit, oder, oder, oder… Aber zum einen: Wenn man die Einkommensgrenze vernünftig und fair ansetzt, kann man über z.B. einen Zeitraum von drei Jahren einen Mittelwert bilden – und wäre häufig immer noch darüber. Außerdem könnte in diesem Fall auch ganz leicht, logisch, fair und pragmatisch nach drei Jahren (oder mehr) oberhalb der Einkommensgrenze für ein Jahr (oder sogar auch zwei Jahre) bei ähnlicher Tätigkeit eine Selbstständigkeit trotzdem akzeptiert werden.
Und zum anderen: Es gibt bereits jetzt schon beim Elterngeld „Ausklammerungstatbestände“ und „Verschiebetatbestände“, die bewirken, dass der für die Berechnungen relevante Zeitraum geändert wird. Es wäre also durchaus keine Neu-Erfindung so etwas analog für die Einkommensgrenze in Bezug auf eine Selbstständigkeit einzuführen.
Eigentlich Zustimmung, aber…
Moderator:
„Wir haben ja die Schutzbedürftigkeit, das ist ja das, was dahinter liegt. Wenn wir jetzt sagen, jemand der ein Regel-Beitrag zahlt in die Rente, dann ist die Person ja offensichtlich nicht schutzbedürftig. Weil wenn ich 650 Euro berappen kann…“
Dr. Schmachtenberg:
„Genau.“
Moderator:
„…und in die Rente mache, habe ich keine Furcht vor der Altersarmut, das ist immer das erste Argument. Das zweite Argument ist, dass die Leute nicht genügend verdienen, das ist auch schon ausgehoben. Das heißt eigentlich wäre doch eine Reform, bei der ein Opt-In auch für die bestehenden Freelancer [möglich; Anmerkung des Verfassers] ist in den Regelbeitrag, ein schönes positiv Kriterium für keine Scheinselbständigkeit.“
Dr. Schmachtenberg daraufhin:
„Ja also wie gesagt, wir haben ja nicht nur Wissensarbeiter und Freelancer und es geht ja gerade bei der Scheinselbstständigkeit auch viel um hier im gewerblichen Bereich allen möglichen Kuddelmuddel an Missbrauch und Schwarzarbeit und so weiter. Das muss man jetzt einfach mal im Gesamtdings sich anschauen. Wir haben im Moment auch eine wunderbare Forderung von den Ärzten, ausgerechnet den Ärzten, die in bestimmten Beschäftigungsformen plötzlich meinen, sie seien unbedingt selbstständig.“
Der Moderator weist also daraufhin, dass mit dem „Regel-Beitrag“ zur Rentenversicherung die Schutzbedürftigkeit als Argument entfällt – und Dr. Schmachtenberg stimmt dem zu: „Genau.“
Eigentlich wäre damit das Thema Scheinselbstständigkeit erledigt: Wer den Regel-Beitrag (nicht den Mindest-Beitrag!) in die Rentenversicherung einbezahlt, hat angemessen für das Alter vorgesorgt – und durch den Nicht-Mindest-Beitrag auch gezeigt, dass er über ein entsprechendes Einkommen verfügt. Und damit sind der Beitrag zur Solidargemeinschaft, die Altersvorsorge und der Entfall der Schutzbedürftigkeit nachgewiesen.
Aber dann geht es doch noch weiter und es werden die Begriffe „Missbrauch“ und „Schwarzarbeit“ und „und so weiter“ in die Diskussion gebracht. Missbrauch ist sicherlich ein Problem, das die Debatten um die Scheinselbstständigkeit wohl von Anfang an begleitet hat. Aber: Was ist denn Missbrauch in diesem Zusammenhang? Auftraggeber sparen sich Sozialabgaben (insbesondere den Anteil an der Rentenversicherung) und ggf. Fürsorge-Pflichten; Auftragnehmer sparen sich die Rentenversicherung – und „profitieren“ dann im Alter als Mittellose von der Solidargemeinschaft. Das alles ist jedoch mit dem Regel-Beitrag des Selbstständigen erledigt. Und das in dieser Einkommenshöhe dann auch die Schutzbedürftigkeit kein Argument ist, wurde ja direkt bestätigt.
Schwarzarbeit als „neues“ Argument gegen Selbstständigkeit?
Scheinselbstständigkeit wird anscheinend tatsächlich „als Sonderform von Schwarzarbeit“ betrachtet[3]. Aber: Wie helfen die aktuellen Regelungen Schwarzarbeit einzudämmen? Und wie würden die vorgeschlagenen Regelungen zur Scheinselbstständigkeit künftig verhindern Schwarzarbeit einzudämmen?
Schwarzarbeit dürfte überwiegend im Bereich niedriger Einkommen stattfinden; und damit würden wohl weder ein einkommensbasierter Lösungsansatz noch ein Regel-Beitrag zur Rentenversicherung für Scheinselbstständigkeit greifen. Diesbezüglich würde es also keine (!) Verschlechterung im Kampf gegen Schwarzarbeit geben.
Verbesserungen beim Thema Scheinselbstständigkeit können bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit helfen!
Verbesserungen beim Thema Scheinselbstständigkeit könnten sogar bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit helfen: Sowohl bei Wikipedia[4] als auch z.B. im „Zwölften Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung“[5] wird der „Abbau bürokratischer Hürden“ als Beitrag/ Instrument im Kampf gegen Schwarzarbeit genannt. Und die aktuellen Regelungen sind in der Realität der Auftraggeber und der Selbstständigen ganz klar deutliche bürokratische Hürden!
Und zusätzlich sei auf einen zumindest logisch erscheinenden, möglichen Faktor für Schwarzarbeit hingewiesen: Wenn allein aufgrund der Regelungen und Gesetze die „offizielle“ Beauftragung eines Selbstständigen nicht möglich oder zumindest unsicher erscheint, dann könnte es von den Beteiligten als Lösung angesehen werden, den Selbstständigen „schwarz“ zu beauftragen – auch wenn sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer eigentlich gerne ein offizielles Vertrags-Verhältnis hätten!
Antwort von Herrn Staatssekretär Dr. Schmachtenberg auf den Lösungsvorschlag von Herrn Freundel
Die vorhergehenden Absätze haben sich mit einer allgemeinen „Antwort“ zum Vorschlag einkommensbasierter Ansätze befasst. Als Reaktion auf den konkreten Lösungsvorschlag mit Zertifikat/ „Fast-Track“ von Herrn Freundel hat Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Dr. Schmachtenberg mit Herrn Freundel telefoniert.
Es war wie auch bereits beim Treffen in Berlin ein sehr konstruktives Gespräch. Ohne näher darauf eingehen zu wollen sind einerseits Gemeinsamkeiten, aber andererseits auch Unterschiede erkennbar geworden. Die aktuelle Situation ist für keine Seite gut (auch nicht für die Verwaltung/ den Staat) und mit einer sinnvollen Lösung wäre allen geholfen. Andererseits gibt es bei einkommensbasierten Lösungen aber auch diverse Bedenken. Es sollen mit den Verbänden Gespräche zum Thema Statusfeststellung geführt werden, eine genaue Planung dazu gibt es aber noch nicht. Der DBITS e.V. soll aber wohl auch beteiligt werden – und wird sich auch aktiv darum bemühen.
[1] https://youtu.be/OrFbZ57IleY?si=NYqprEkuo5VDw0s5
Hinweis: Die hier angeführten Zitate aus diesem Video wurden mit Hilfe des automatischen Transskripts manuell nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Es wird fast ausschließlich das gesprochene Wort geschrieben. Für das einfachere Lesen wurden Satzzeichen nach Sinnhaftigkeit eingefügt und an wenigen Stellen den Sinn nicht verändernde Glättungen vorgenommen.
[2] https://www.selbständige-wissensarbeit.de/wofuer-wir-stehen/
[3] https://www.anwalt.de/rechtstipps/steuerhinterziehung-wegen-scheinselbstaendigkeit-213988.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzarbeit#Bekämpfung_der_Schwarzarbeit
[5] https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://dserver.bundestag.de/btd/17/148/1714800.pdf&ved=2ahUKEwjs75G7qZWHAxX-QvEDHRToBPUQFnoECDIQAQ&usg=AOvVaw3yEiVhdkBJSb3ROmJjeQjO
Zum Thema “Schutzbedürftigkeit” konnte ich nur mit dem Kopf schütteln. Erst versucht man zu argumentieren dass man die Menschen vor sich selbst schützen muss – das ist nicht Aufgabe des Staates, wir reden von erwachsenen, mündigen Bürgern (bei Selbstständigen sogar Vollkaufleuten) und das Grundgesetz ist dazu da um die Menschen *VOR* übergriffen durch den Staat zu schützen, z.B. in ihrer freien Berufsausübung und Geschäftstätigkeit. Wenn das Argument nicht zieht sagt man man müsse die Solidargemeinschaft vor diesen Menschen schützen – das sind völlig andere Maßstäbe als z.B. beim Bürgergeld wo man als Errungenschaft ansieht dass auf Sanktionen verzichtet wird. Auch in anderen Bereichen sieht man keinen Grund die Steuerzahler vor massiven Ausgaben zu schützen. Die Fantasie dass für jede verhinderte Selbstständigkeit eine Festanstellung entsteht ist auch kompletter Unsinn, gerade ältere Selbstständige oder solche mit sehr viel Zeit in Selbstständigkeit haben kaum Chancen am Arbeitsmarkt. Die Vorteile von Selbstständigen wie selbstbestimmtes Arbeiten, Flexibilität, enorme Fachkenntnisse und meistens spezifische Spezialisierung, Erfahrungen in diversen Projekten werden in der Festanstellung schnell zum Nachteil. Die meisten meiner Projekte werden beendet weil ich nicht mehr benötigt werde, und das ist auch gut so, niemand beschäftigt den Maurer weiter nachdem das Haus gebaut ist.
Setzt man die gleichen Maßstäbe bei Angestellten an würde man z.B. auch entweder die Arbeit in Teilzeit vollständig verbieten müssen oder die SV-Beiträge dort so hoch ansetzen dass am Ende eine Rente rauskommt. Es passiert tatsächlich das Gegenteil z.B. über die Gleitzone. Es muss auch niemand ein Amt um Erlaubnis fragen ob ein Arbeitsvertrag eingegangen werden darf, man muss auch nicht fürchten dass ein rechtsgültiger Arbeitsvertrag später zwangsweise umgewandelt wird, zumindest nicht ohne Gerichtsbeschluss.
Es ist auch nicht so dass bei der vollständigen Legalisierung der Selbstständigkeit plötzlich alle Angestellten kündigen und sich selbstständig machen (oder entlassen werden in die Selbstständigkeit). Die meisten Menschen wollen nicht selbstständig sein, klar gibt es manchmal Neid auf das Honorar aber spätestens wenn man sieht wie viel Bürokratie, unbezahlte Arbeit und Risiko dabei ist winken die meisten ab.
Vielen Dank für deinen Kommentar. Der Vergleich mit dem Maurer ist sehr passend!